Schulmeister und Kantor Johann Thüring

Der Dorfschulmeister und Kantor von Willerstedt, Johann Thüring, wird oft genannt, wenn über die thüringische ländliche Musiktradition des 17. Jahrhunderts gesprochen und geschrieben wird.

Seit der Reformation (1517) gab es in Thüringen und Sachsen eine stärkere Hinwendung zur Musik nicht nur an den Fürstenhöfen, sondern vor allem in den Städten und Dörfern (1).
Auf Anregung von Martin Luther (*10.11.1483, +18.02.1546) wurden überall Schulen gegründet, zu deren Unterricht vordringlich Musik gehörte. Für die Mehrheit der Bevölkerung war die Musik sehr wichtig. Getragen wurde sie von den Schülern und ehemaligen Schülern. Die Musik war wesentlicher Bestandteil des Gottesdienstes. Überliefert ist, dass das Niveau der Lehrer in den Thüringer Dörfern, vor allem im Raum Erfurt, außergewöhnlich hoch war, im Gegensatz zu anderen Regionen Deutschlands. Der Posten eines Dorfschulmeisters galt nämlich oft als Sprungbrett für eine spätere Karriere als Pfarrer. Die Lehrer in den thüringischen Dorfschulen waren häufig „junge Theologen …“ (1).

Nach Willerstedt kam Johann Thüring, als Nachfolger des im Jahre 1603 verstorbenen Schulmeister Casper Engelmann. Zuvor hatte Johann Thüring die Thomas-Schule in Leipzig besucht und danach einige Jahre ein „studio musico“ absolviert (2).
Über die Herkunft von Johann Thüring wissen wir sehr wenig. Auch seine Geburtsdaten konnten noch nicht ermittelt werden. In den Vorworten einiger seiner Druckerzeugnisse findet man spärliche Hinweise. So nennt er sich zum Beispiel „Trebrensis“ und auch „Trebensis“. Die Orte Trebra oder Treben konnte ich als mögliche Geburtsorte noch nicht urkundlich belegen. Einerseits gibt es mehrere Orte mit diesen Namen, andererseits sind durch den Dreißigjährigen Krieg viele Dokumente aus jener Zeit verloren gegangen, so dass Nachforschungen bisher keine Ergebnisse zeigten. Nach meinem Verständnis, hat ein Vorfahre von Johann Thüring außerhalb Thüringens den Familiennamen „Thüring“ erhalten, weil er wahrscheinlich von dort kam. Dies muss aber nicht bedeuten, dass Johann Thüring selbst außerhalb von Thüringen geboren wurde. Mein Verdacht fällt auf die Bergbauregion von Sangerhausen und Eisleben, auch weil dort der Name Thüring historisch gesehen, mehrfach zu finden war.
Das Johann Thüring nach Willerstedt kam, wird seine Ursache in den Herren von Witzleben auf dem Wendelstein an der Unstrut haben. Diese hatten zu jener Zeit das Patronat über die St. Alban Kirche zu Willerstedt. Johann Thüring wurde für Willerstedt eine Bereicherung. Er brachte die Kirchenmusik in Willerstedt „zu gutem Stande und voll zum Tragen“. Vom Pfarrer und der Gemeinde erhielt er das Zeugnis, dass er ein rechter Musikus sowohl „instrumentalis als auch choralis“ sei. Die Jugend habe „es wohl abgerichtet und eine löbliche Musik im Chore vorgeführt.“. Auch mit der Schularbeit sei man „männiglich zu frieden“ (2).

1617 trat Johann Thüring erstmals mit gedruckten Kompositionen an die Öffentlichkeit. Die bei Johann Weidner in Jena gedruckten „Zehen Geistliche Contiones und Moteten“ waren vor allem dem 100jährigen Jubiläum des Reformationstages (31.10.1517) gewidmet. Ein noch vorhandenes Exemplar ist Bestandteil des Udestedter Adjuvantenarchivs (17./18. Jh.). Die Udestedter Sammlung wurde vom Hochschularchiv der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar übernommen (3). Der Kirchgemeinde Udestedt und dem Hochschularchiv ist es zu verdanken, dass die Gemeinde Willerstedt (Gemeinderat) jetzt im Besitz einer Kopie dieser Kompositionen von Johann Thüring ist. Trotz der vier Jahrhunderte sind die Noten und der Text noch gut leserlich.

Obwohl Johann Thüring nicht im Herzogtum Sachsen Gotha tätig war, hat er die Bemühungen von Herzog Ernst den Frommen von Sachsen Gotha auf musikalischem Gebiet unterstützt und für das Gothaer Contional sacrum. (1648 und 1655; einige Exemplare dieses Werkes befinden sich in der Forschungsbibliothek auf Schloß Friedensstein in Gotha) zwei vierstimmige Choräle beigesteuert (Ach Herre, du gerechter Gott, und Gib Fried, o frommer treuer Gott) (4).

Aus dem Katalog der Musikdrucke der „Herzog August Bibliothek“ in Wolfenbüttel geht hervor, dass sich ein Exenplar des Druckes von Johann Thürings „Funfftzehen Geistliche Gesänge und Moteten, beneben der Litania …, Erfurdt 1621“ dort befindet.
Nach Peter Hauschild im MMG (5) ist ein beträchtlicher Teil seines Schaffens verloren gegangen. bzw. nur fragmentarisch erhalten. „Thüring schrieb Kantionalsätze und Moteten von schlichter, weitgehend homophoner Faktur“ (5).
Er arbeitete nicht nur zum Eigenbedarf, sondern verkaufte seine Musikstücke auch an benachbarte Kirchgemeinden. So erhielt Johann Thüring 1621 aus der Kirchenkasse Lossa bei Rastenberg 10 Groschen und 6 Pfennige für Kompositonen und Gesänge.
Johann Thüring bezeichnete sich selbst im Jenaer Druck von 1617 „der Music besondern

Liebhabern“. Überhaupt nutzte er die Drucke um sich bei den Gönnern und Förderern zu bedanken, da wäre zu nennen:
Casparo Wiedemarktern – Pfarherrn zu Willerstedt
Andrex Marquard – Pfarherrn zu Nirmbstroff
Sebastiano Vendwig – Ambtsvorwaltern zu Hardisleben
Martino Eberthen – Bürgermeistern zu Mücheln an der Geissel, sowie … Herren / Doctoribus, Magistris … der Christlichen Gemeinden zue Lange Saltza, Eißleben / Sangerhausen.
Johann Thüring verstarb am 13. Juli 1635 in Willerstedt (6).
Er zählt zu den vielen kleinen „Meistern“ Thüringens, die sich in jener Zeit (vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg) um den lebendigen Fortbestand der evangelischen Kirchenmusik bemühten (5). Es ist bestimmt nicht übertrieben, wenn wir Johann Thüring auch im Zusammenhang mit den Kirchenadjuvanten von Willerstedt bringen. Vielleicht hat er sogar den Grundstein für deren Wirken (mehrstimmiges Singen und Musizieren) gelegt. Ein Vorfahre von mir, Johann Wilhelm Ladensack (*1781, +1844), war Choradjuvant – Posaunenbläser.

Schon frühzeitig wurde in der Literatur auf das musikalische Wirken von Johann Thüring, den Schulmeister und Kantor von Willerstedt, hingewiesen u. a.:
Gerber, Ernst Ludwig: Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler, Band 4, 1814
Eitner, Robert: In – Allgemeine Deutsche Biographie, Band 38, Seite 220, 1894

Quellen für diesen Beitrag:
1. Sömmerdaer Heimatheft 12/2000, Seite 17 ff.- Beiträge von Steffen Voss,
Wolfgang Stolze und Frank Boblenz.
2. Willer-Bimmel 4/1993 – Beitrag des Herrn Sanitätsrat Rudi-Arnold Jung aus
Eckartsberga über Johann Thüring.
3. Archive in Thüringen: Mitteilungsblatt 21/2001, Seiten 10 bis 12 – „Das Thüringische Landesmusikarchiv im Archiv der Hochschule für Musik Franz Liszt“ von I. Lucke-Kaminiarz.
4. Briefverkehr mit dem Musikwissenschaftler Prof. em. Dr. sc. phil. Hans Rudolf Jung aus Kassel.
5. Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG – Allgemeine Enzyklopädie der Musik), Band 13, Kassel 1966, Seite 376, Beitrag über Johann Thüring von Dr. Peter Hauschild aus Leipzig.
6. Aus den Kirchenbüchern von Willerstedt von Adelheid Wiegner.

Es gibt schon jetzt Überlegungen im Jahr 2017 zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation, anläßlich einer kirchlichen Veranstaltung in der Willerstedter St. Alban Kirche, den ehemaligen Schulmeister und Kantor Johann Thüring zu würdigen.
Walter Ladensack, Heimatforscher