Wanderwege in und um Willerstedt

Nachdem ich vor 15 Jahren aus dem Arbeitsleben ausschied, habe ich auf „Schusters Rappen“  unsere Flur und auch die nähere Umgebung fast täglich durchstreift. Anfangs mit unserem Hund Lilly und einige Jahre später war auch meine Frau mit von der Partie. Obwohl der über einen Weimarischen Acker große Garten viel Zeit beanspruchte, wollte ich etwas gezielt für meine Gesundheit tun und auch unserer Kulturlandschaft noch manches Geheimnis entreißen, um eigene Bildungslücken zu schließen.

Der Volksmund bringt oft zum Ausdruck, dass „viele Wege nach Rom“ führen, aber manche entwickeln sich zu  Hauptwegen. Auch in unserer Flur habe ich zwei Wanderstrecken besonders ins Herz geschlossen. 
Sie gefallen mir:

  1. weil es Höhenwege sind und man bei besonderer Wetterlage einen herrlichen Blick auf die Umgebung bis hin zum Brocken im Harz hat, sowie
  2. man an vielen historisch wertvollen Standorten vorbei kommt.

Mir wurde bewusst, man muss sie besser vor Ort kennen lernen und in seinen Wissensschatz aufnehmen. Selbst nach der Krebserkrankung im Jahr 2015 habe ich, wenn es mein Zustand erlaubte, gemeinsam mit meiner Frau, jetzt ohne Hund, eine der Strecken manchmal auch nur Teilstrecken, erwandert.

I. Der beschilderte Hügelwanderweg nimmt seinen Anfang im Dorfzentrum, am Plan und geht auf der Ortsverbindungsstraße in Richtung Oberreißen bis zu jener Stelle wo der Jakobsweg kreuzt. Südlich geht es am Windschutzstreifen bis zur Weinstraße. Auf diesem sehr alten Weg in östlicher Richtung überqueren wir die Kreisstraße 112 (Pfiffelbach/ Willerstedt) schwenken nach 1 km nördlich in den Zottelstedter Weg  (auf Willerscht Märreen, auf Hochdeutsch Mühlrain). Nach ca. 1,5 km erreichen wir das Willerschte Mahl (Burghügel, Hochmotte). Die Gesamtwanderstrecke beträgt über 8 km. Wir kommen an einigen Hügeln vorbei, deshalb auch Hügelwanderweg – manche haben an Höhe verloren, manche wurden ganz abgetragen. Die Entstehungszeit liegt vermutlich in der jüngeren Steinzeit. Nach bisherigen Erkenntnissen sind sie durch Menschenhand errichtet und waren auch keine Grabhügel (3) dass betrifft ebenso die Hochmotte am Willerstedter Mahl, welche vermutlich um 926 n. Chr. errichtet wurde.  

 

Zur Legende:

  1. Am Weg nach Oberreißen ist auf der rechten Seite, dass Geburtshaus vom Volksliedsammler und –forscher Franz Theodor Magnus Böhme. Es gehört der Familie Dennstedt und wird von ihr bewohnt. Hier war viele Jahrhunderte das Dorf zu Ende. Erst 1908 wurde westlich davon eine Molkerei errichtet. Heute sind in dieser Richtung beiderseitig weitere ca. 300 Meter bebaut.
  2. Der Flurname (FLN) Mauseberg betrifft ein Flurstück an der Flurgrenze nach Rudersdorf. Die FLN-Herkunft ist nicht belegt. Der alte Heerweg ging durch die Mause. Auf diesem Flurstück wurde wohl in kriegerischen Zeiten nicht viel geerntet, weil „gemaust“ (gestohlen) wurde sowie Saaten zerstört und das Unkraut überhand nahm (Mausekuttel).
  3. Der Hügel liegt am alten Heerweg. Er hebt sich deutlich am Horizont ab. Seine Entstehung geht vermutlich auf die jüngere Steinzeit zurück und er diente wahrscheinlich als Orientierungshilfe. Nach zwanzigjährigen Recherchen meinerseits in der Willerstedter Gemarkung und auch in benachbarten Fluren wurde der Verdacht erhärtet, dass die dortigen Hügel zu einem „Sonnenkalender“ der jungsteinzeitlichen Bauern gehören.

Nachfolgende Darstellung und Erläuterungen untermauern diese Aussage:

Zu 1: Südlich der Straße von Willerstedt nach Nirmsdorf ist die von mir ermittelte Beobachtungsstelle,  entsprechend literarischer Hinweise.

Zu 2: Beim ehemaligen Fuchshügel an der Weinstraße in der Pfiffelbacher Gemarkung geht am 21. Dezember zur Wintersonnenwende die Sonne unter.

Zu 3: Beim Hügel am alten Heerweg, nördlich der Straße von Willerstedt nach Oberreißen, geht am 21. März und am 21.September die Sonne unter.

Zu 4: In unmittelbarer Nähe des sogenannten Pollakenhügel in der Rudersdorfer Flur, östlich des Niederreißener Hölzchen, geht am 1. Mai die Sonne unter. Der Zeitraum um Walpurgis war früher ein wichtiger Zeitpunkt für die Arbeiten auf dem Feld.

Zu 5: Bei der ehemaligen Kiesgrube, Westseite des Rudersdorfer Weinberges, geht die Sonne am 21. Juni zur Sommersonnenwende unter. Nach meinem Verständnis gibt es bei diesen Hügeln einen Zusammenhang zwischen Sonnenuntergang, Sonnenkalender und Errichtung der Hügel.

4. Nach urkundlichen Aussagen von 1506 (5) war hier vermutlich vom 13. bis zum 16. Jahrhundert der Standort einer Wegekapelle St. Elisabeth und einer Vikaria, mehrere Indizien „sprechen“ dafür. Dieses Flurstück wurde schon 1694 „in der alten Gebind“ genannt. In der Literatur wird Gebind (6) – als umhegtes, dem Gemeinderecht entzogenes und durch Zäune abgetrenntes Privatgrundstück erläutert. Der FLN ist amtlich und mündlich in Gebrauch.

5. Für Interessenten lohnt sich bestimmt ein Abstecher zur ehemaligen Kiesgrube in der Niederreißener Flur. Diese Kiesgrube ist ausgeschildert. Sie ist Teil des Geologischen Wanderweges „Auf den Spuren der Urilm“.

6. Sitzbank am Panoramablick – eine herrliche Aussicht.

7. Fuchshügel an der Weinstraße, auch Hügel hinter dem Fuchsholz genannt. Er soll nach der Pfiffelbacher Ortschronik Anfang des 19. Jahrhundert abgetragen worden sein. Jedoch gefunden hat man in ihm nichts. Die Erde wurde auf dem daneben liegenden Gemeindeplan aufgetragen. Nach meinen Recherchen gehört er zum schon erwähnten  Sonnenkalender und hat wahrscheinlich nichts mit dem Petersberg (Heute: Peterberg) zutun. Dieser hat vermutlich seinen Namen von einer Pilgerkapelle an der Weinstraße. Später wurde der Fuchshügel bestimmt auch als Orientierungspunkt beim mittelalterlichen Straßenkreuz verwendet:

Für die  Kupferstraße wurden in der Literatur oft auch andere Bezeichnungen verwendet. In einer Bittschrift der Gemeinde Willerstedt wurde sie auch Querstraße genannt. Sie wollten Geleitfreiheit im Amt Eckartsberga, weil sie die Reparatur der Straßen in ihrer Flur ausführen müssen, unter anderen auch der „Querstraße (anderer Name für Kupferstraße hier im Territorium) von der Willerstedter Windmühle bis an die Weinstraße, so nach dem  Liebstedter Holze“ (7).

8. Der Galgenhügel in der Willerstedter Flur ist nur mündlich überliefert. Jedoch in einem Luftbild konnte ich mehrere Gräber in unmittelbarer Nähe erkennen. In der Pfiffelbacher Chronik wird das Gericht an der Weinstraße erwähnt. Auch gibt es an der Weinstraße den Flurnamen „Beim Gericht“. Der sogenannte Weimarweg kreuzte beim Galgenhügel die Weinstraße. Es war eine Verbindung von der Residenzstadt Weimar zur Vogtei Gebstedt und berührte auch bestimmt das Dorf Pfiffelbach.

9. Von der Sitzbank am Zottelstedter Weg hat man auch eine gute Aussicht. Der Blick reicht von Apolda im Süden bis nach Eckartsberga im Norden. Im Osten kann man die Rudelsburg erkennen.

10. Der Flurname jener Erhebung in Dorfnähe lautet seit der Separation „Auf dem Kützebiel“.  Der FLN ist noch im amtlichen und mündlichen Gebrauch. Mehrfach wurde die Schreibweise geändert: 1753 Kizenbierl, 1798 Kützenbührl, 1844 Kitzebiel und 1874 dann Kützebiel. Biel ist eine Geländeerhebung und Kitz nennt man allgemein eine junge Ziege.
Ein FLN mit Kitz war im weiten Umfeld von Willerstedt nicht zu finden, obwohl auch andere Dörfer früher junge Ziegen bestimmt auch geweidet haben (6). Die Lösung finden wir bei den Brüdern Grimm im Deutschen Wörterbuch – Leipzig 1873, Bd. 11, S.  699. Sie schreiben: „Kiez ist ein merkwürdiges altes Wort in nordöstlichen Deutschland“ – war auch schon dort als Gerichtsstätte in Gebrauch. Die Besichtigung vor Ort in Willerstedt spricht dafür das zur Ritter- und Wendelsteiner Zeit auf dem Kützebiel eine Gerichtsstätte war. Vor 600 Jahren waren auch Beamte aus Dresden zur Klärung von Streitig-keiten in Willerstedt, vielleicht haben sie diesen Namen hier aus ihren Sprachschatz hinterlassen.

11. Bohrloch zur Gewinnung von Lettenkohle – im Volksmund sind die Vertiefungen als Kuhlöcher überliefert. 1842/1843 wurden an 2 Stellen nach Lettenkohle hier gesucht: 1. im Wetzetal und 2. „dicht bei dem Dorfe Willerstädt an der alten Burg“. Vor Ort wird eine Informationstafel angebracht.

12. Am Burghügel endet der Hügelwanderweg. Er ist eine Hochmotte. Diese wurde wahrscheinlich um 926 n. Chr. errichtet, als König Heinrich I. die Ostgrenze durch den Burgenausbau sicherer machte. Vor dieser Zeit wurde die Fläche als Flachmotte genutzt. Jedoch seine Entstehungszeit liegt vermutlich in der Jungsteinzeit, mehrere Indizien lassen eine Kreisgrabenanlage (Kultplatz) wie Goseck bei Weißenfels vermuten. Die Ursache für die Errichtung einer „Burg“ auf einen Erdhügel lag wahrscheinlich im hohen Grundwasserstand bzw. sumpfigen Gelände. Die Vorburg bzw. Wirtschaftshof war in nordwestlicher Richtung. Der Burgteich dagegen in südlicher. Vor Ort wird es eine Info-Tafel geben.

Unten Hochmotte 10. Jahrhundert, Idealbild (9)

II.  Der andere Wanderweg ist unbeschildert und führt in östlicher Richtung nach Nirmsdorf. Man kann ihn auch am Plan in Willerstedt beginnen. Es geht dann über den Kirchberg, vorbei am Heimatmuseum, der St. Albankirche, dem Pfarrhaus und der Kirchbergschänke bis zum Betriebsgelände des Fliesenlegermeisters Dirk Seidemann. Hier biegen wir links ab in Richtung Osten. Schon bei den ersten Schritten merken wir, dass dies auch ein Höhenweg ist, welcher die Landesstraße 2158 zwischen Willerstedt und Nirmsdorf meidet. Man überblickt das seichte Tal durch das der Muldenbach sich schlängelt. Nach dem sich Willer und Riesenbach im Schleifchen vereinten und einen neuen Namen bekamen.

Zur Legende:
1. Die alte Wassermühle war mit ihren Stauteich und den oberschächtigen Wasserrad eine Sehenswürdigkeit, so würdigte der Landwirt Eugen Ritzel sie in der Kirchturmurkunde von 1928. Erbaut wurde sie vermutlich Anfang des 19. Jahrhundert. Die erste urkundliche Nachricht fand ich aus dem Jahr 1815 über die Erbzinsen. Nach meinen Verständnis erfolgte der Aufbau der Wassermühle über viele Jahre, denn es mussten über 100 m Bach verlegt und ca. 300 m Mühlgraben errichtet werden. Dazu kommt der Teich, die Mühle und das Wohnhaus.
Als Müller werden genannt: 1823 Schlitter, 1825 Heinrich Gräfe, 1829 Seidel, 1855 Schellhardt und 1874 Ernst Ludwig Kersten. 1910 erfolgte ein Eigentumswechsel von Ernst August Hilmar Kersten an den Tischler Emil Knauer. Dieser betrieb danach nur noch Landwirtschaft. Heute ist das Grundstück noch bewohnt. Oberhalb des Teiches (südlich) wurde um 1880 vom Obstbauverein eine Obstbaumschule angelegt.

2.  Der Nirmsdorfer Friedhof ist klein aber schön und hat noch zwei alte Grabstellen aus dem 19. Jahrhundert. Eine Grabstelle betrifft:  Magister August Nietzsche *25. Mai 1785, +1. Juni 1858. Er war Pfarrer in Nirmsdorf und der älteste Stiefbruder des Vaters (10) vom Philosophen Friedrich Wilhelm Nietzsche. Dieser verbrachte mindestens einmal in Nirmsdorf seine Ferien, vermutlich als 14jähriger im Jahr 1858. Danach schrieb er, im August/September 1858, eine autobiographische Jugendschrift. Der Stiefonkel in Nirmsdorf war schon ca. 12 Jahre vor seinen Tod verwitwet und hatte einen großen Haushalt. 6 Söhne und 1 Tochter galt es zu versorgen. Eine Tante, vermutlich Auguste Nietzsche, führte den Haushalt.

3. Die Straße zwischen der L 2158 – nördlich von Willerstedt bei der Feldscheune – und den ehemaligen Tanzplan nördlich von Nirmsdorf ist das erhalten gebliebene Teilstück des alten Heerweges. Dazu gehört auch noch der Weg, welcher nördlich an Nirmsdorf entlang geht. In der Literatur wird dieser Weg insgesamt auch als eine Variante der via regia zwischen Oberreißen und Thüsdorf erwähnt. Eine Weiterführung von Nirmsdorf über Schwabsdorf nach Auerstedt wird auch genannt. Favorisiert wird vor allem von Oberreißen über Rudersdorf nach Thüsdorf. Die Bezeichnung Erfurter Weg und Postweg findet man in alten Urkunden. Wobei der Postweg an der Wegegablung den alten Heerweg verließ und bei der ehemaligen Dorfgaststätte auf die L 2158 stößt und in Richtung Gebstedt verlief.

4. Im Jahr 2013 wurde die neue und moderne Sauenanlage in Betrieb genommen. Sie ist äußerlich ein Schmuckstück geworden, dass betrifft auch den Innenbereich – habe an mehreren Besichtigungen teilgenommen. Die alte Anlage aus den 60iger Jahren wurde abgerissen und beräumt. Mir macht es Spaß bei den Wanderungen einen Stopp einzulegen um mich an der Ordnung und Sauberkeit zu erfreuen.

5.  Die Windmühle an der Straße nach Rudersdorf gehörte mit zu den sehr frühzeitig genannten in Thüringen. In einer Kammerrechnung von 1593 (8) wird über sie berichtet, aber auch in den Büchern der Kirche Willerstedt wird zu dem genannten Zeitraum über die Müllerfamilien geschrieben. Es war eine Bockwindmühle wie in Langenroda bei Wiehe und Schillingstedt bei Kölleda. Durch ihre alte Bauweise war sie eine Zierde für Willerstedt. Namen von Windmüllern: Bernt Wolf, Peter Stenzel, Christoph Rößing, Lorentz Rößing, Ernst Rößing, Hans Schrot, Johann Traugott Naupold, Anton Beyer, Johann Christian Müller, Gottfried Linke, August Linke.
In den 80iger Jahren des 19. Jahrhunderts soll der Mahlbetrieb eingestellt worden sein. August Linke als wahrscheinlich letzter Windmüller hat sich dann der Landwirtschaft zugewandt. Bei einen kräftigen Sturm 1911 stürzte die Bockwindmühle um und zerbarst.

Quellen und Anmerkungen;
1. Gemeindepanorama Willerstedt 1110 bis 2010
2. Homepage des Heimatvereins – Biografisches von Franz Theodor Magnus Böhme
3. Hügel bei Willerstedt (im Internet: Deutsche Alterthümer oder Archiv für alte und mittlere Geschichte, Autor: Prof. Dr. Friedrich Kruse, 1824,)
4. Wanderkarte Weimarer Land und Jena, Verlag: grünes herz, Ilmenau
5. Zeitschrift des Vereins Thüringer Geschichte … , ganze Folge, Band 10, Seiten 40-41
6. Günther Hänse: Die Flurnamen im Weimarer Land, ISBN 3-932642-24-4
7. Konrad Niemann, Die alten Heer- und Handelsstraßen in Thüringen, Seiten 11 und 29
8. Weimarer Heimat 14/2000, Frank Boblenz, Mitarbeiter Th. H. St. A. Weimar, Seiten 64 bis 66
9. Werner Meyer: Deutsche Burgen, Schlösser und Festungen, ISBN 3-8112-1159-5, Seiten 54-57
10. Begegnung mit Nietzsche: Unter Mitwirkung von Ingeborg Reichenbach
      https://books,google.com/books?id=2DcQAQAAIAAJ
      August Engelbert Nietzsche (1785-1858) Geneology –Geni
      Nietzsche, Friedrich: Autobiographisches aus den Jahren 1856 – 1869 …
                    Die Jugendjahre 1844 – 1858

Walter Ladensack, Heimatforscher   
Februar 2017